011 - Frida Kahlo und die Farben des Lebens by Bernard Caroline
Autor:Bernard, Caroline [Bernard, Caroline]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2019-09-12T22:00:00+00:00
Kapitel 15
Frida musste noch einige Tage im Henry-Ford-Hospital bleiben. Sie nutzte die Zeit, um weiter an ihren Skizzen für das Bild zu arbeiten. Sie behielt die einzelnen Elemente bei, verschob sie nur in der Anordnung rund um das Bett. In der Mitte des Bildes, über dem Bett schwebend, ließ sie Raum für ihr ungeborenes Kind, das bereits Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte und das sie nach den Abbildungen in den medizinischen Büchern darstellen wollte. Es war das letzte Detail, das noch fehlte, und sie fürchtete sich davor, dieses Kind zu malen. Aber es war notwendig, sich dieser Furcht zu stellen, um sie zu überwinden. Zögernd setzte sie den Stift an und merkte, wie gut es tat, auf diese Weise von dem kleinen Wesen Abschied zu nehmen.
»Ich bin so froh, dass ich meine Malerei habe, um mich mit meinem Leiden auseinanderzusetzen und es auf diese Weise zu bewältigen. Sonst würde ich hier verrückt werden«, sagte sie zu Lucienne mit einem Blick auf das Nebenbett, in dem die alte Frau immer noch vor sich hin starb.
Wenige Tage später wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. Sie fühlte sich immer noch elend, war aber fest entschlossen, sofort mit dem Malen zu beginnen, solange ihre Gefühle noch so echt war. Diego war auf die Idee gekommen, auf einer Metallplatte zu arbeiten, weil ihn die Skizzen so sehr an die mexikanischen Votivbilder erinnerten. Er brachte ihr eine kleine Blechtafel mit, nicht viel größer als ein aufgeschlagenes Buch. Frida folgte seinem Vorschlag und freute sich an den leuchtenden Farben, die auf Metall viel satter wirkten als auf einer Leinwand. Unter winzigen Pinselstrichen wuchs das Bild vor ihren Augen. Sie verzichtete auf jede Form von Perspektive, auch in diesem Punkt blieb sie den Votivbildern treu.
Ganz am Schluss schrieb sie auf den Bettrahmen das Datum, Juli 1932 und »Henry Ford Hospital Detroit«. Hinter das Datum setzte sie die Initialen: FK. Ab jetzt war sie wieder Frida Kahlo. Nicht länger Frida Rivera.
Als sie das K hingepinselt hatte, lachte sie laut heraus. Es fühlte sich herrlich an, wieder sie selbst zu sein, wieder Frida Kahlo. Doch dann wurde sie plötzlich traurig. War dieses K auch ein Zeichen für das Eingeständnis, dass sie nicht Frau Rivera sein konnte, weil sie ihrem Mann keine Kinder schenkte? Hatte sie das Anrecht auf diesen Namen verwirkt? Nein! Diesen Gedanken durfte sie nicht zulassen. Sie war Diegos Frau, vor Gott und aller Welt. Aber sie war nicht nur seine Frau. Vor allem war sie Frida. Frida Kahlo. Die Malerin.
Als sie den letzten Strich getan hatte und den Pinsel weglegte, wusste sie, dass sie ein wahrhaftiges Bild des weiblichen Leids geschaffen hatte, das durch seine naive Form tief in ihrer mexikanischen Heimat und Kultur verwurzelt war. Das Gemälde war Ausdruck größten Schmerzes über die misslungene Schwangerschaft, die sie in absolute Hilflosigkeit und das Gefühl des Ausgeliefertseins katapultierte. Sie hatte sich nichts geschenkt, jede schmerzhafte Erinnerung, sowohl körperlich als auch seelisch, jede Hoffnung und am Ende das große Scheitern konnte man in diesem Bild lesen. Gleichzeitig stand es für die unglaubliche Stärke, die Frauen wie sie auch in höchster Not hatten.
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